Der Titel der Reihe sagt bereits alles: »Die tollen Hefte« . Ersonnen wurden sie 1991 von Armin Abmeier für den Augsburger Maro Verlag als Forum für aufwendige Buchillustration. Jeweils bis zu vierzig fadengeheftete kleinformatige Seiten stark, bieten sie zwar nicht viel Platz, aber auf diesem schmalen Raum können die Zeichner tun und lassen, was sie wollen.
Einzige Bedingung: Es soll keine Bildgeschichte erzählt, sondern Texte müssen illustriert werden. Und das möglichst farbenfroh, denn die »Tollen Hefte« werden im Siebdruckverfahren und in kleiner Auflage (zur Zeit jeweils 2200 Exemplare) hergestellt.
Deshalb ist ein Erfolgstitel wie im vergangenen Jahr das Eichhörnchenheft von Axel Scheffler auch sofort vergriffen gewesen. Teuer sind die Hefte zugegebenermaßen auch: vierzehn Euro, wenn man Mitglied der Büchergilde Gutenberg ist, die die Reihe vor drei Jahren von Maro übernahm; im Buchhandel erhöht sich der Preis auf 16,90 Euro.
Doch dafür bekommt man einige der besten deutschen Illustratoren (oder auch mit Scheffler einmal einen englischen Kollegen) geboten und bisweilen auch noch das eine oder andere Extra. So zum Beispiel im zuletzt erschienenen Heft, für das der Berliner Graphiker Henning Wagenbreth verantwortlich zeichnete, einen riesigen Siebdruck auf denkbar dünnem Papier, denn er mußte fünffach gefaltet werden, um seinen Platz im Heft zu finden.
Das trägt den Titel »Das Geheimnis der Insel St. Helena« und erzählt von dem perfiden Trick, mit dem Napoleon seinen eigenen Tod vortäuschte, um sich auf der einsamen Insel im Atlantischen Ozean in aller Ruhe eine gewaltige Marinebasis auszubauen, von der aus er erneut die Welt erobern wollte.
Auf der gewaltigen Beilage hat Wagenbreth einen detailverliebten Aufriß des verzweigten Höhlensystems entworfen, in das sich der kleine Korse mit seiner Geheimarmee und etlichen Geheimwaffen zurückgezogen hat.
Das Heft gibt dazu das Protokoll des Grafen de Rohan-Chabot wieder, der an der Überführung von Napoleons Leichnam nach Paris beteiligt war. Der Graf ist historisch belegt, seine Protokolle sind es nicht, doch Wagenbreth hat sie mit viel Vergnügen gefälscht. Nun liest man vom Entsetzen Rohan-Chabots, als er den totgeglaubten Kaiser bei dessen Aktivitäten überrascht.
Die entsprechenden Szenen in den Kavernen St. Helenas hat Wagenbreth in dem ihm eigenen eckig-statischen Stil in knallbunte ganzseitige Bilder gefaßt, die neben der knapp gehaltenen Erzählung ein Eigenleben und dadurch erst die ganze Geschichte entfalten.
Abgeschlossen wird das Heft durch das authentische Protokoll des Arztes Rémy Julien Guillard, der die Öffnung von Napoleons Sarg auf St. Helena überwachte, bei Wagenbreth aber zu des Kaisers Mitverschwörer wird und deshalb die Wahrheit unterdrückt haben soll.
Das ist eine großartige Erzählfiktion, und Wagenbreths piktogrammartige Zeichnungen machen das Heft zu einem aberwitzigen Vademecum für Verschwörungstheoretiker. Die »Tollen Hefte« selbst sind alles andere als irrsinnig. Abmeier sorgt bereits mit dem nächsten Heft für einen Ausgleich; dann wird eine Erzählung von A. L. Kennedy abgedruckt, illustriert von der Kinderbuchzeichnerin Rotraud Susanne Berner.
Da darf man weniger Opulenz als Intensität erwarten. Und so entwickeln sich die »Tollen Hefte« Halbjahr für Halbjahr weiter zu einer Leistungsschau der Buchillustration. Davon gibt es hierzulande viel zu wenige.
Henning Wagenbreth: »Das Geheimnis der Insel St. Helena«. Die Wahrheit über Napoleon. Die Tollen Hefte, Nr. 20. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 2002. 36 S., Abb., br., 16,90 €.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. 4. 2003